„Dankbarkeit“
Liebe Corona,
nach dem meine letzte Rede am Stiftungsfest eine so positive Resonanz erfuhr, mit der ich selbst nie im Leben gerechnet hätte, war ich erst einmal unglaublich glücklich und dankbar. Doch sobald die Kneipe dann zwei Wochen später vor der Tür stand war da auf einmal auch ein gewisser Druck diese Leistung wieder zu replizieren. Nach langem Überlegen, Schreiben und letztendlich Scheitern fiel mir dann jedoch etwas auf – es ist ok wenn es nicht perfekt, nicht so gut wird wie am Stiftungsfest. Ich kann einfach dankbar dafür sein, dass es an diesem besonderen Tag so gut gelaufen ist und mich vielleicht auch wieder auf den Anfang dieses Semesters zurückbesinnen. Da bin ich auf meine Rede zur Ankneipe dieses Semesters gestoßen, über die in dieser Verbindung vorherrschende Kultur in der Fehler erlaubt sind und man deshalb auch neues wagen kann und muss, was das Potential hegt etwas großartiges zu werden. Während ich mir also Gedanken darüber machte, bin ich auf das Thema meiner heutigen Rede gestoßen.
Das Thema ist leise. Unspektakulär. Vielleicht deshalb so leicht zu übersehen – gerade in unserer Zeit, in der alles laut, schnell und sichtbar sein muss: Es ist Dankbarkeit.
Dankbarkeit – kein Businessmodell. Kein Wettbewerb. Und doch gibt es etwas zu gewinnen. Sie ist sie eines der kraftvollsten Gefühle, die wir haben können. Sie kostet nichts – aber sie verändert alles.
Wenn ich an unsere Verbindung denke, dann denke ich an viele sehr späte Abende, lange Gespräche neuerdings befeuert mit Fragen von Yousef, an Streit, Versöhnung, an Arbeitseinsatz, Arbeitsverweigerung, an Gelächter und an Stille. Aber vor all dem denke ich an Menschen, die mehr geben, als sie müssten. Ohne Vertrag. Ohne Rechnung. Einfach so. Aus Überzeugung, vielleicht sogar auch manchmal aus Trotz. Aus Liebe.
Und das ist es auch, was mich in den letzten Jahren so von der Rheno-Nicaria überzeugt hat: Dieses unsichtbare Netz, das uns zusammenhält – nicht durch Macht, nicht durch Zwang, vor allem nicht durch Geld – sondern durch Dankbarkeit. Dankbarkeit für das, was da ist. Für das, was war. Und für das, was möglich bleibt. Das ist es, was mich zu dem Lebensbund mit diesem Verein bewegt hat.
Es ist so leicht, zu kritisieren. Den Hausputz, der nicht funktioniert. Die Convente, die sich ziehen. Die Bundesbrüder, die nicht zu Veranstaltungen kommen. Wir wissen mittlerweile fast alle, wie das klingt.
Aber wann haben wir uns das letzte Mal hingesetzt und wirklich gesagt: Danke?
Danke an Jonas, Hauke und Matthew, dass sie vier Tage unter dem Semester zum Besuch der VV verwendeten.
Danke an die gesamte Aktivitas, dass ihr so ein tolles Semsester möglich gemacht habt.
Und danke an die Alten Herren, die uns mit ihrer Anwesenheit heute daran erinnern, dass unsere Verbundenheit nicht aufhört, wenn der Studienausweis einmal abläuft.
Vielleicht sollten wir das öfter tun – weil es uns nicht klein macht, sondern groß. Weil Dankbarkeit keine Schuld ist, sondern eine Haltung. Kein Kniefall, sondern ein Aufrichten.
Manchmal glauben wir, alles müsste verdient sein. Jede Geste müsse einen Zweck erfüllen. Jede Hilfe einen Gegenzug haben. Aber wenn wir so denken, verlieren wir etwas, das größer ist als jedes System: die Fähigkeit, uns berühren zu lassen.
Dankbarkeit ist kein Tauschgeschäft – sie ist ein Geschenk. Sie braucht kein Publikum. Kein Applaus. Und sie braucht vor allem eines nicht: Perfektion. Denn niemand hier ist perfekt. Kein Bundesbruder. Kein Convent. Kein Haus. Und doch: Es ist genau dieses Unperfekte, dem wir unser Herz schenken.
Wenn man jung ist, denkt man oft, man sei sich selbst genug. Man glaubt, Freiheit bedeute Unabhängigkeit. Allein entscheiden, allein leben, allein tragen. Aber dann merkt man: Es ist leicht, frei zu sein – schwer ist es, verbunden zu sein. Nicht aus Pflicht, sondern aus Einsicht.
Und genau das erleben wir in einer Verbindung.
Denn hier lernt man, was man nicht im Alleingang kann: Verantwortung. Vertrauen. Zugehörigkeit. Und eben: Dankbarkeit. Und ja, manchmal lernt man es schmerzhaft – über Konflikte, über Versagen, über Überforderung. Aber auch das gehört dazu.
Ich glaube: Wer gelernt hat, dankbar zu sein, der lernt, genug zu sein. Nicht im Sinne von „nicht mehr wollen“, sondern im Sinne von: Das Wesentliche erkennen. Das, was bleibt. Und das, was trägt. Die Stelle an der der Perfektionismus nicht mehr weiter kommt. Denn nur wenn wir Imperfektionen zulassen können wir den Weg für etwas neues Großartiges ebnen.
Also lasst uns heute – bei allem Bier, bei aller Freude, bei aller Festlichkeit – kurz still sein. Und an die Menschen denken, denen wir hier etwas verdanken. Denn ihre Zahl ist oft so viel größer als man es manchmal denkt. Die, die uns geprägt, gefordert und gefördert haben. Vielleicht manchmal auch geärgert. Aber die da waren. Und die da sind.
Dankbarkeit ist nicht immer laut. Aber sie ist immer stark.
Und genau davon lebt unsere Verbindung – nicht nur von Bier, Feiern und , sondern von dem unausgesprochenen Wissen: Ich habe hier etwas bekommen, was ich nicht kaufen kann. Ich habe hier etwas zwar längst nicht perfektes, aber ganz besonderes – etwas unbezahlbares bekommen: eine zweite Familie.
Lasst uns also gemeinsam dankbar dafür sein – und das, was wir erhalten haben, weitergeben. Nicht perfekt. Nicht vollständig. Aber ehrlich.
In diesem Sinne: Danke an euch alle. Für das, was ihr seid. Für das, was ihr gebt. Und für das, was wir gemeinsam gestalten dürfen.
In diesem Sinne möchte ich nun schließen mit den Worten:
Vivat, crescat, floreat Rheno Nicaria
et KV ad multos annos!
(verfasst und gehalten von Emil Kotissek – Senior RhN)
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