I. Vorgeschichte und Gründung (1854 – 1905)

Vorgeschichte

1854-64 – Gründung Katholischer Studenten- und Lesevereine in Berlin, Bonn, Breslau, Münster, Würzburg und Tübingen.

1865 – Gründung des KV (Kartellverband katholischer deutscher Studentenvereine) durch die Vereine aus Berlin, Bonn, Breslau, Münster und Würzburg.

1871/72 – Umbenennung des Katholischen Lesevereins Tübingen in KStV[1] Alamannia[2] und Aufnahme in den KV.

1872 – Erste Überlegungen der KStV Alamannia am Polytechnikum Stuttgart einen KV-Verein zu gründen.

1872-87 – Der „Kulturkampf“ zwischen dem Vatikan und der deutschen Regierung verhindert den Ausbau des KV[3].

1899 – Abhaltung von KV-Stammtischen in Stuttgart und konkrete Planung einer Gründung.

Gründung

1903 – Gründung des KAV[4] Rheno-Nicaria. Gründungstag ist der 10. Juli (nach anderer Überlieferung der 21. April). Als Farben werden Moosgrün und Rosa gewählt, als Wahlspruch „In Treue fest“.

20. Juli Aufnahme in den KV als außerordentliches Mitglied.

20.-22. November Publikation (offizielle Gründungsfeierlichkeiten).

1905 – Aufnahme in den KV als ordentlicher Kartellverein.

Trivia

Der Name Rheno-Nicaria ist gebildet aus den lateinischen Namen der Flüsse Rhein (Rhenus) und Neckar (Nicarus) und geht vermutlich auf die Herkunft der ersten Mitglieder aus dem Rhein-Neckar-Gebiet (um Mannheim und Heidelberg) zurück.

Anders als im KV üblich gibt sich die Rheno-Nicaria nicht den Namen „Katholischer Studentenverein“ (KStV) sondern „Katholischer Akademischer Verein“ (KAV).

Ebenfalls unüblich ist es, dass nur zwei Farben gewählt werden. Fast alle anderen Verbindungen (nicht nur im KV) haben drei[5]. Die Farbgebung scheint aber bewusst erfolgt zu sein – Moosgrün und Rosa sind Komplementärfarben[6].

Aufgrund bürokratischer Vorschriften durften am Anfang nur Studenten der Technischen Hochschule (Polytechnikum) zu Mitgliedern werden. Studenten anderer stuttgarter Hochschulen wurden als „Verkehrsgäste“ geführt.

II. Per Aspera ad Astra (1905 – 1960)

1905 – 1920

1905-1908 – Im so genannten „Akademischen Kulturkampf“ wird vor dem Hintergrund einer geforderten wissenschaftlichen Neutralität die Existenzberechtigung konfessioneller Institutionen (Lehrstühle, Hochschulgruppen) an den Hochschulen in Frage gestellt. In diesem Zusammenhang wird auch in Stuttgart ein Verbot katholischer Studentenverbindungen gefordert. Letztendlich können sich die Verbotsbefürworter aber nicht durchsetzen.

1912 – Der älteste erhaltene Komment[7] der Rheno-Nicaria wird verfasst.

1914 – 1920 Die meisten Rheno-Nicaren werden im Ersten Weltkrieg in die Armee eingezogen, außerdem dienen viele in den ersten Nachkriegsjahren in Freicorps. Dadurch war das Verbindungsleben stark eingeschränkt.

1920 – 32

1920[8] – Gründung des Hausvereins.

1922 – Kauf und Bezug des ersten Hauses in der Kernerstr. 8.

1931 – Rheno-Nicaria wird dreifacher Hochschulmeister in Fußball, Handball und Faustball.

1932 – Umzug in das größere Haus in der Stafflenbergstr. 81.[9].

1933 – 45

1933 – Unter dem Druck der neuen Regierung wandeln sich alle KV-Vereine in „Katholische Burschenschaften“ (KB) um. Aus dem Wohnheim wird das „Kameradschaftshaus“.

1934 – Das Katholizitätsprinzip muss aufgegeben werden. Alle Studenten müssen der SS oder der SA beitreten, ein „Bundesleiter“ löst die Chargia ab.

1935 – Die „Burschenschaft Rheno-Nicaria“ löst sich auf und kommt so einem Verbot zuvor. Der Hausverein besteht weiter.

1937-40 – Das Haus muss an die Stadt Stuttgart verkauft werden. Als Geldanlage wird in der Melanchtonstr. 36 in Cannstatt ein Gebäude gekauft. Mit der Enteignung 1940[4] hört die Verbindung auf zu existieren, allerdings halten ihre Mitglieder weiter Kontakt zueinander.

1945 – 60

1945-47 – Aus nach dem Krieg stattfindenden Stammtischen entsteht die Idee einer Neugründung. 1947 werden Hausverein und Aktivitas neugegründet. Auf Wunsch der Aktivitas werden auch die alten Traditionen (Kommerse, Kneipen, etc.) übernommen.

1948 – Da die Aktivitas zu groß zu werden droht, entschließt sich die Rheno-Nicaria eine zweite KV-Verbindung in Stuttgart zu gründen. Statt einer Neugründung wird die KStV Burgundia im KV zu Berlin[10] hier reaktiviert.

1950 – Als Gegenleistung für den Verzicht auf das Gebäude in der Stafflenbergstraße erhält die Verbindung das Ruinengrundstück Etzelstr. 7, auf dem in den folgenden Jahren das neue Verbindungshaus gebaut wird. Ein Zimmer im unteren Stock wird bis 1962 an die Burgundia vermietet[11].

1954 – Erstmals werden die Rheno-Nicaren-Blätter herausgegeben.

III. Fluctuat nec mergitur[13] (1961 bis heute)

1961 – 80

1965-75 – Im Vorfeld und während der 68er-Bewegung werden immer mehr die Traditionen der letzten 60 Jahre in Frage gestellt. Kommerse werden nicht mehr geschlagen, der Kontakt zu anderen Verbindungen reißt ab, die Prinzipien werden hinterfragt. Höhepunkt ist das Stiftungsfest 1970, auf dem ein Redner eingeladen wird, der die Prinzipien Religion, Wissenschaft und Freundschaft als „veraltet“ und „unbrauchbar“ bezeichnet.

1976 – Während des 73. Stiftungsfestes kommt es zu Grundsatzdiskussionen über die zukünftige Form der Rheno-Nicaria, wobei auch die Auflösung des Bundes zur Debatte steht. Am Ende fällt die Entscheidung für eine traditionelle Verbindung mit Verwurzelung im KV (einschließlich Beibehaltung der Prinzipien), Pflichtveranstaltungen, Fuxenzeit und Kneipen und Kommersen.

1978 – Die Verbindung wird  neu organisiert. Aktivitas, Altherrenverein und Hausverein werden im „Katholischen Akademischen Verein Rheno-Nicaria e. V.“ vereinigt. Mit der Eintragung ins Vereinsregister treten diese Änderungen 1980 in Kraft.

1981 – heute

1986-90 –  Durch Umbauten wird die Anzahl der Studentenzimmer auf dem Haus auf 11 erhöht.

1996 – Auf Wunsch der Aktivitas werden Vollwichse[14] für die Chargen angeschafft.

1999 – Die Internetseite http://www.rheno-nicaria.de geht online.

2003 – Zum 100-jährigen Bestehen wird das Buch „Geschichte und Geschichten aus 100 Jahren Rheno-Nicaria“ herausgegeben.


[1] Katholischer Studentenverein
[2] Alamannen: ein germanisches Volk, der um 500 n. Chr. in das Römische Reich einfiel und sich im heutigen Gebiet von Baden-Württemberg, Westbayern, der Schweiz und des Elsass niederließ. Der Name geht auf das westgermanische „ala Mannen“ (Alle Mann, bzw. Vereinigte Mannschaften) zurück und zeigt, dass es sich um einen Zusammenschluss verschiedener Stämme handelte. Der größte dieser Stämme, die Sueben (Schwaben) wurde ab ca. 900 n. Chr. zum Synonym für das ganze Volk.
[3] Der Kulturkampf begann nachdem Papst Pius IX. 1870 sich und seine Nachfolger für unfehlbar erklärte und von den Gläubigen unbedingte Gefolgschaft verlangte. Die Regierung bezweifelte daraufhin die „Reichstreue“ der Katholiken und verhängte diskriminierende Vorschriften, unter anderem das Verbot katholische (Hochschul)Vereine zu gründen.
[4] KAV: Katholischer Akademischer Verein
[5] Normalerweise haben nur sehr alte Verbindungen, wie z. B. die Burschenschaft Arminia auf dem Burgkeller zu Jena, zwei Farben
[6] D. h. sie stehen sich im Farbkreis der additiven Farbmischung genau gegenüber.
Vgl. hier.
[7] Ein Leitfaden für angemessenes Verhalten in der Verbindung
[8] Für die genauen Daten dieses und späterer Termine vgl. „Geschichte und Geschichten aus 100 Jahren Rheno-Nicaria“
[9] Heute Österreichisches Konsulat
[10] Bereits 1938 waren katholische Studentenvereine zu Staatsfeinden erklärt worden
[11] Hervorgegangen aus dem 1854 gegründeten Katholischen Leseverein Berlin
[12] Die Burgundia stellte später den Aktivenbetrieb ein und fusionierte mit der KStV Askania im KV zu Berlin
[13] Sie schwankt, aber geht nicht unter
[14] Traditionelle Studentenkleidung aus dem 19. Jahrhundert